„Der Tourismussektor feiert seit 1980 jedes Jahr am 27. September den Welttourismustag, der von der Welttourismusorganisation der Vereinten Nationen (UN Tourism) ins Leben gerufen wurde, um
an diesem Tag Touristen und Beschäftigte im Tourismussektor zusammenzubringen, um den Tourismus zu feiern und auf die Bedeutung des Sektors hinzuweisen“, so ist es in den Artikeln zur
Herkunft des Welttourismustages zu lesen. Feiern. Gemeinsam. Aufmerksam machen. Touristen. Beschäftigte. Bedeutung…
Diese Wörter tauchen jedes Jahr anlässlich des Welttourismustages auf. Vielleicht ein bisschen abgedroschen, ein bisschen automatisch. Offizielle Stellen und Fachverbände geben zu diesem Anlass
ein paar Erklärungen ab, feierliche Phrasen, oft mit dem Zwang, groß zu klingen, indem sie ein paar Rekorde, herausragende Ergebnisse und statistische Superlative erwähnen, um zu zeigen, wie gut
die Dinge laufen.
Muss das wirklich so sein? Ist das wirklich das Wesentliche? Vergessen wir niemanden bei der großen „Feier“? Zum Beispiel die Einheimischen, die Bewohner der touristisch frequentierten Orte, ohne
die die Begegnungen und persönlichen Interaktionen zwischen Einheimischen und Besuchern, die dem Tourismus Sinn verleihen, nicht stattfinden könnten? Brauchen wir wirklich Rekorde? Kann im
Bereich des Tourismusmanagements nur derjenige erfolgreich sein, der einen Rekord in irgendeinem herausgegriffenen Wirtschaftsindikator aufgestellt hat? Haben wir das Wesentliche hinter den
Zahlen wirklich nicht vergessen? Das Wesentliche, wie zum Beispiel die Ordnung des natürlichen Kreislaufs, das Bedürfnis nach Harmonie? Harmonie, die keinen Rekord kennt, sondern nur ein Gefühl,
dass die Welt und die Prozesse um uns herum in die richtige Richtung gehen und dem Wohl von uns allen und unserer Umwelt dienen.
Meiner Meinung nach wird der Welttourismustag erst dann zu einem echten Fest, wenn wir das zwanghafte Streben nach Rekorden hinter uns lassen und stattdessen die Harmonie hinter den einzelnen
Prozessen suchen. Wenn die Qualität die Quantität übertrifft.
In Österreich lebend und die hiesigen Prozesse eng verfolgend, sehe ich, dass sich die österreichischen KollegInnen um das Jahr 2019 herum vom Zwang zur Rekordjagd zu befreien begannen, und
seitdem bemühen sie sich, sich von ihrer früheren „Abhängigkeit“ zu lösen. Ich erinnere mich: Im Herbst 2019 stellte der Tourismusdirektor der Stadt Wien, der Geschäftsführer von Wien Tourismus,
die neue Besucherwirtschaftsstrategie (visitor economy Strategie) der Stadt vor. Bei der Präsentation der Strategie sagte er damals: „Ich habe es wirklich satt, jedes Jahr vor Ihnen zu stehen und
das übliche Mantra zu wiederholen: Das vergangene Jahr hat das beste touristische Ergebnis aller Zeiten gebracht, wir haben noch nie so viele Übernachtungen gemessen wie jetzt. Damit ist Schluss,
das wird nicht nachhaltig sein, das ist nicht das Wesentliche, wenn wir die Hand aufs Herz legen. Deshalb schlagen wir ein neues Kapitel auf. Künftig messen wir den Erfolg und die Wirksamkeit des
Tourismus an der Verbesserung der Lebensqualität der lokalen Bevölkerung.“ Also schauen wir nicht darauf, was die Stadt dem Touristen, dem Besucher bieten kann, sondern darauf, was der Besucher,
die Touristen der Stadt bieten können.
Diese Art des Denkens und der Herangehensweise haben wir im ungarischen Sprachgebrauch als Neutourismus / Újturizmus bezeichnet. Neutourismus, der anders ist als die alte materialistische
Sichtweise, bei der nicht der Profit, sondern die Lebensqualität und das Glück im Mittelpunkt stehen. Die Wende in Österreich lässt sich etwa auf das Ende des Jahres 2019 bis zum Jahr 2020, die
Zeit des Ausbruchs der Coronavirus-Pandemie, datieren. Dies war die Zeit des Erwachens, des Paradigmenwechsels. Eine Zeit, in der nicht der Tourist, sondern der Mensch, seine Bedürfnisse und
seine Harmonie mit der Umwelt im Mittelpunkt des Denkens über den Tourismus stehen. Über die Wiener Besucherwirtschaftsstrategie habe ich damals HIER ausführlicher geschrieben. Über das Rezept des Neutourismus habe ich
HIER und HIER meine Gedanken mit Hilfe der Analogie des kreativen ungarischen Denkens, des in diesem Jahr genau 50 Jahre
alten Rubik-Würfels, dargelegt.
Diese Art der Herangehensweise und des Denkens versuchen wir auch in der touristischen Podcast-Reihe Dunakavicsok zu verfolgen, die sich mit der Welt des Neutourismus beschäftigt. Ich glaube fest
daran, dass wir Ungarn in diesem Denken führend sind, wir spüren instinktiv das Gute, hatten aber noch nicht die Gelegenheit, die vielen Talente und den Willen in eine Richtung zu lenken. Wenn es
uns manchmal gelungen ist, diesen Gnadenstand zu erreichen, hielt er nur kurz an, ständige „Paradigmenwechsel“ und strukturelle Veränderungen brachen das Vertrauen und den Schwung, so dass wir zu
ständigen Neuanfängen verurteilt waren.
Die erste Nationale Tourismusentwicklungsstrategie (NTS), die 2005 ausgearbeitet wurde, enthielt bereits die Grundlagen des lebensqualitätszentrierten Denkens. Viele haben diesen Ansatz
übernommen, nur wir Ungarn haben ihn zwischenzeitlich vergessen. Damals war es ein völlig neuer Vorschlag, den Erfolg des Tourismus an der Verbesserung der Lebensqualität und des Wohlbefindens
der lokalen Bevölkerung zu messen, nicht nur an dem selbstzweckhaften BIP-Indikator. Heute ist in Österreich der Lebensqualitätsindex der wichtigste Indikator, er hat nun auch eine gesetzliche
Grundlage, und im nächsten Frühjahr wird der offizielle Index zur Akzeptanz des Tourismus durch die Bevölkerung (Tourismusakzeptanz) vorgestellt.
Die guten Praktiken sind also bereit. Die Rezeptbücher sind für jeden zugänglich. Im Interesse der Nachhaltigkeit und der Verringerung der Umweltbelastungen ist es für viele inzwischen klar, dass
Ergebnisse nur gemeinsam erzielt werden können, daher liegt der Hauptfokus und die Botschaft auf der Zusammenarbeit. Zusammenarbeit, auch mit den Wettbewerbern. Wenn dies gelingt, dann werden die
Erfolge und Ergebnisse gemeinsame Erfolge und gemeinsame Ergebnisse sein, die wir gemeinsam feiern können. Die Freude ist nämlich dann vollkommen, wenn wir sie mit anderen teilen können.
Anlässlich des diesjährigen Welttourismustages wünsche ich, dass möglichst viele von uns den Weg in die Welt des Neutourismus einschlagen, wo jeder Erfolg gemeinsam ist, jede Freude miteinander
geteilt werden kann, wo das Glück aus dem bewussten Erleben der durch Reisen und Begegnungen geschaffenen Momente entsteht.
In diesem Sinne wünsche ich allen, die sich mit dem Tourismus beschäftigen, also den Einheimischen (Erlebnisraum-Bewohnern), den Besuchern und den Beschäftigten des Sektors, einen gemeinsamen,
bewusst erlebten, freudereichen und glücklichen Tourismustag.
Auf geht’s Neutourismus! Frohen Welttourismustag!
Dipl.oec. Balázs Kovács (MSc, MBA)
Leiter des Beratungsbüros GD Consulting in Wien, Mitglied des Global Sustainable Tourism Council (GSTC) und Co-Redakteur des touristischen Podcasts Dunakavicsok
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